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Kurzgeschichten und Gedichte

Vorhang

Ein dünner Sonnenstrahl schien schüchtern durch den schwerelosen Vorhang, das Fenster öffnete sich in der Brise, und ein wunderbarer Strom frischer, klarer Luft wehte durch den Raum. Der alte Mann schluckte genüsslich seinen Speichel hinunter und versuchte vergeblich, von seinem alten Bett aufzustehen und den einzigartigen Geschmack des frischen, klaren Lebens noch einen Moment länger auf seinen Lippen zu behalten. Seine Beine gehorchten ihm nicht recht, seine Hände zitterten, und obwohl der Einband des gewichtigen Bandes stark verwittert war, blieb sein Inhalt unverändert, wie er es vor mehr als 85 Jahren gewesen war. Alte Menschen lassen sich lesen wie ein offenes Buch.

Der dünne Spitzenstoff des Vorhangs schwankte und wirkte wie eine Art Barriere gegen das geschäftige Treiben auf der Straße. Der Vorhang schwankte spielerisch und brachte eine heimelige Gemütlichkeit in den Raum, in dem selbst der Mann auf dem Bett ein Element in der Gestaltung der gepolsterten Wände war.

-Herr Harrison, darf ich Ihnen ein paar Rühreier und Ihren Lieblingstoast bringen? - Mit dem anhaltenden Geruch von süßem Parfüm, in dem Herr Harrison Noten von Patchouli, Orange und Sandelholz wahrnehmen konnte, trat eine vollschlanke Frau in einem weißen Kleid ein, das ihre üppige Gestalt verführerisch betonte.

-Danke, Elsa, wenn du so freundlich wärst, den Vorhang zurückzuziehen.

Das Dienstmädchen lächelte verblüfft, zog den Vorhang vorsichtig zurück und verließ den Raum, wobei sie den synthetischen Duft mitnahm.

Der alte Mann hatte Mühe, aus dem Bett zu kommen. Er stand auf und blickte hoffnungsvoll auf die liebgewonnenen Umrisse des Lebens außerhalb des Fensters. Es duftete nach frisch gebackenen Brötchen - das musste Fat Woody sein, der seine beliebte Bäckerei eröffnete - und ein Junge auf einem Fahrrad sauste vorbei.

Er hatte es so eilig, dass er eine magere Nonne in einer Schürze anfuhr. "Mutter Gottes", war seine Antwort. Das Bild des bürgerlichen Lebens war besonders reizvoll für die junge Blumenhändlerin Anna, die mit ihrem Hut einem phantasievollen Blumenstrauß glich. Es gab einige sanfte Zurechtweisungen: der Besitzer des Gemüseladens tadelte wieder einmal die nachlässigen Bediensteten. Der alte Mann schmatzte genüsslich mit den Lippen.

In jeder Bewegung, die er machte, zeigte sich die Bedeutung jedes einfachen Augenblicks, der gelebt wurde, obwohl es sich um ein Gefühl handelte, das den Jungen unbekannt war.

'Stimmt, Elsa hat wieder das Kätzchen mitgebracht', wirbelte er zu Harrison, klein, rührend und mit grünen Augen. Er fand das Spiel mit dem Vorhang faszinierend. Ohne die Augen der alten Männer zu bemerken, die ihn anstarren, versuchte er, die Spitze des Vorhangs mit seinen Pfoten zu greifen und sich daran festzuhalten. Süßes, kleines Kätzchen spielt nicht nur mit dem Vorhang - mit dem Leben selbst. Und genoss alle Facetten des schönen Lebens. Im nächsten Moment erschien ein seliges Lächeln der Versöhnung mit der Welt auf den dünnen alten Lippen.

In diesem Moment wurde ein unsichtbares Band zwischen dem Kätzchen und dem alten Mann geknüpft. Herr Harrison grinste über einen seltsamen Scherz, den nur er selbst kannte. Das Kätzchen spielte weiter mit dem Vorhang, spielte mit dem Leben selbst. Es war sein Spiel, sein Leben, seine Kindheit. Die Augen des alten Mannes schlossen sich langsam, aber auf seinen Lippen blieb der Anschein eines glückseligen Lächelns.

* * *

Der war, soweit ich den kenne, ein glücklicher Mensch, Mister Harrison. Jetzt sitze ich an einem Tisch, spiele book of oz und denke: Und wie möchte ich leben? Was möchte ich vom Leben? Bin ich ein glücklicher Mensch, oder nicht? Na ja, leider spiele ich in der letzten Zeit nur lebe. Existiere. Einfach verschiedene Sachen mache, und das Leben läuft vorbei… Vielleicht soll ich endlich etwas ändern? Jetzt weiß ich aber zumindest, was ich im Leben will - sehr glücklich sein und diese Versöhnung erleben…

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